„Von 0 auf 100“ in nur einer Woche?

Im Feuilleton der Tageszeitung liest man gelegentlich von einem bejubelten Gastdirigat eines international bekannten Dirigenten und fragt sich: Wie ist das möglich? Schließlich hat der Dirigent vor dem Auftritt vielleicht gerade nur in ein oder zwei Proben mit dem Orchester gearbeitet. Sicher, es handelt sich dabei um ein Profi-Orchester mit ausgezeichneten Musikern, die ihre Instrumente perfekt beherrschen und ebenso ihre Stimmen. Oftmals kennen die Musiker die Werke bestens und haben sie schon mehrfach unter verschiedenen Dirigenten aufgeführt. Der Dirigent muss sich jedenfalls nicht im Entferntesten fragen, ob der Musiker seine Stimme überhaupt fehlerfrei spielen kann; und auch der Musiker stellt sich eher die Frage, wie sich dieser Dirigent die Details einer bestimmten Passage vorstellt, die er als maßgeblicher Instrumentalist selbstverständlich sowohl in der einen Weise wie auch in anderer Weise spielen könnte. Im Bereich der Laienmusik sieht das aber meist ganz anders aus. Hier ist die stetige Arbeit des Dirigenten mit dem Orchester eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass ein Auftritt oder ein Konzert gelingt.

„Es heißt ja immer: Ein Instrument zu spielen, ist wie Fahrrad fahren. – Okay, dann bin ich der Verkehrspolizist!“, lacht Chef-Dirigent Patrick Wewel.

„Oft wird darauf hingewiesen, dass das Orchester das Instrument des Dirigenten sei“, so Chef-Dirigent Patrick Wewel. „Das heißt aber eben auch, dass ich während eines Auftritts nicht unmittelbar eingreifen kann. Ganz egal, welche Zeichen ich gebe, ich bin darauf angewiesen, dass die einzelnen Musiker dies umsetzen (und  erst einmal erkennen, was sie umsetzen sollen).“ Umso wichtiger ist für Wewel daher auch, dass die Musiker möglichst regelmäßig an den Proben teilnehmen. „In den Proben versuche ich, den Musikern meine Vorstellung von einem Stück, bestimmten Stellen oder Phrasierungen zu vermitteln. Und alle Musiker müssen die relevanten Details verinnerlicht und in ihren Noten eingetragen haben. Denn wenn an einer leisen Stelle auch nur ein Musiker zu laut spielt, dann ist der ganze Effekt schon dahin“, gibt Wewel ein praktisches  Beispiel. Gerade weil die Arbeit mit einem  Laienorchester kein Sprint, sondern eher ein Dauerlauf ist, freut sich Wewel, dass trotz aller Einschränkungen die Probearbeit auch in Coronazeiten zumindest weitgehend aufrecht erhalten werden und der Musikverein 1929 Ketsch hierfür die große Rheinhalle nutzen konnte. Auch wenn aus verschiedensten Gründen in dieser Zeit nicht alle Musiker am Probebetrieb regelmäßig teilnehmen konnten, so fängt man nach Corona zumindest nicht bei Null an. Denn sozusagen in kürzester Zeit „von 0 auf 100“ hochfahren, das würde sicher überhaupt nicht funktionieren. Für die nächste Zeit hofft Wewel auf eine weitere schrittweise Normalisierung der Probearbeit. „Ein Instrument spielen ist wie Fahrradfahren – wenn man es einmal kann, verlernt man es nicht!“, erklärt Wewel. „Trotzdem sind die ersten großen Fahrradtouren nach einer längeren Winterpause meist recht beschwerlich.“ Das stetige Üben eines jeden Musikers sowie das gemeinsame Spielen im Ensemble und die regelmäßigen Proben sind daher sehr wichtig. Besonders gilt dies für die noch verbleibende Zeit bis zum Termin des Frühjahrskonzerts des Musikvereins 1929 Ketsch in der Rheinhalle (Sonntag, 15. Mai 2022, 17:00 Uhr). „Ich bin sehr optimistisch, dass das ein ausgezeichnetes Konzert des Gesamtorchesters werden wird – denn jeder einzelne Musiker weiß, dass es auf ihn ankommt!“  as